Thesen und Fragen zum »Entwurf eines Hochschulgesetzes«
Thesen und Fragen zum »Entwurf eines Hochschulgesetzes« des VDS (1968) von Josef Pieper
1. Wenn wirklich die »Krise der Hochschulen« eine »Krise ihres Inhalts«, also eine Krise der Wissenschaften ist, was sicher zutrifft (obwohl dann noch immer zu fragen ist, worin diese Wissenschaftskrise besteht) – dann kann diese Krise wahrscheinlich überhaupt nicht durch Gesetzgebung behoben werden.
2. Ist »der Inhalt der Universität« zutreffend (zum mindesten: erschöpfend) durch den Begriff »Wissenschaft« bezeichnet? Was ist mit Philosophie und Theologie – die immerhin einmal, weil sie es formell mit dem »Ganzen« zu tun haben, auf das auch der Name und Begriff der universitas hinweist, als das Fundament der Universität betrachtet worden sind? – Generelle Nebenfrage: Ist es sinnvoll, die Universität als Institution zu definieren, ohne ihre Geschichte zu bedenken (kann man darunter etwas verstehen, was noch nie darunter verstanden worden ist)?
3. Wissenschaftsbegriff (angeführt sind nur die wichtigsten Kennzeichnungen):
Wissenschaft ist
a) vor allem »Produktivkraft«
b) »die Grundlage des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses«
c) »das Instrument der Leitung und Planung aller gesellschaftlichen Prozesse«
d) ihr Gegenstand: »die gesellschaftliche Realität«
e) wird selber »produziert«
f) der Wissenschaftler ist »Arbeiter«
g) bestimmt ihren Gegenstand, indem sie sich an den objektiven Bedürfnissen der Gesellschaft (orientiert), die wiederum wissenschaftlich festgestellt werden
Das ist ein vom amerikanischen Pragmatismus (Dewey: Erkenntnis »dient« dem Leben und der Lebenssteigerung) und vom Marxismus bestimmtes Konzept. Wissenschaft = Lebensmittelbeschaffung. Aber was ist dann Leben? Das Wort Wahrheit kommt nicht vor; Erkenntnis im Ganzen der Existenz; die Gesellschaft lebt von der öffentlich präsenten Wahrheit. Erkennen kommt nur unter der Voraussetzung des Schweigens zustande (die reich informierte Weltfremdheit). Begriff der theoria. Weltveränderung setzt thomistische Weltinterpretation voraus (das ausdrücklich Gewollte bekommt man gerade nicht). Der Arbeiter und der »Sophist«.
(Damit Ost) schon die Frage nach dem »Bildungswert« der Wissenschaft gestellt: Wieso kann Wissenschaft »nicht mehr« sittliche Persönlichkeitsbildung sein? Disziplin des Denkens, Sicherheit, Objektivität. Allerdings: die Spezialwissenschaft genügt nicht (gebildet ist, wer eine Vorstellung vom Ganzen der Welt und des Daseins hat).
5. Mitbestimmung aller wissenschaftlichen Arbeiter (weil alle betroffen sind): gibt es auch Lernende?
6. Die anthropologische Konzeption, die Vorstellung vom Menschen und vom Sinn des Daseins Ost) jedenfalls sehr weit entfernt (gelinde gesagt) von der christlichen Vorstellung: wahrscheinlich ist schon theoria nur realisierbar, wenn die Welt nicht bloß als Material und Rohstoff menschlicher Aktivität, sondern als creatio verstanden wird. Der unbegreifliche Entwurf hinter allem Wirklichen. Ferner: »Die Wahrheit wird euch frei machen«: Visio beatifica (nicht bloß eschatologisch).